In
dem folgenden Beitrag beleuchtet der Münchner Soziologe
Ulrich Beck die Wirkung, die von der energischen Androhung
des Kriegs im Irak ausgehen könnte. Seine These:
Selbst eine mögliche friedliche Lösung des Konflikts
setzt die kompromisslose Bereitschaft voraus, notfalls
militärisch einzugreifen.
Die
Kriegsangst macht blind für das, was sich unter dem
Eindruck derselben an vermeintlichen Wundern ereignet:
Saddam Hussein, ein blutrünstiger Diktator, der seine
Nachbarn überfallen, chemische und biologische Waffen
gegen sein eigenes Volk eingesetzt, einen Polizeistaat
errichtet und die Uno-Waffeninspektoren jahrelang an der
Nase herumgeführt hat, wandelt sich vom Saulus zum
Paulus.
Die
Nachrichten von seiner Wunderheilung überstürzen
sich: Erst öffnete Saddam Hussein nach einigem Zögern
die Paläste den Waffeninspektoren, jetzt zerstört
er, worauf sein Stolz sich gründet - die El-Samud-2-Raketen
-, und nun hat er noch der Uno binnen kürzester Zeit
einen neuen Bericht zu seinen chemischen und biologischen
Kampfstoffen zugesagt. Entdeckt der menschenverachtende
Despot sein Herz für die Weltgemeinschaft? Kann er
sich dem grossväterlichen Charme des Uno-Chefinspektors
Blix und den mit Friedensengelszungen redenden Europäern,
Chirac und Schröder, nicht länger verschliessen?
Wohl
kaum. Die brutale Wahrheit lautet: Es ist die überwältigende
US-Militärpräsenz, legitimiert durch die Repräsentanz
des globalen Rechts, die Vereinten Nationen, die Saddam
keine andere Chance lässt.
Hier
leuchtet eine Alternative auf zu entweder Krieg oder Status
quo, entweder Bomben auf Bagdad, oder der Diktator Hussein
geht wie Phoenix aus der Asche gestärkt aus dem Ringkampf
mit Präsident Bush hervor; über diese Alternative
wurde bisher nicht systematisch nachgedacht: eine Politik
der militärischen Bedrohung, die friedlich die Welt
verändert. Diese Alternative beruht auf der gefährlich
abschüssigen Unterscheidung zwischen Krieg und Kriegsdrohung
und auf der nicht weniger abenteuerlichen Dialektik, dass
mit der Perfektionierung der Kriegsdrohung verbunden werden
kann, was sich ausschliesst: das despotische Regime zu
stürzen und den Krieg zu vermeiden. Das kann man
in einer paradoxen Wortbildung vielleicht als «militärische
Aufklärung» begreifen: Nur das bedingungslose
Ausspielen der unipolaren US-Militärmacht, die keinen
Rivalen kennt, kann - das ist die zentrale Paradoxie -
den Einsatz militärischer Gewalt überflüssig
machen. Wer beides will - die Welt verbessern und den
Krieg verhindern -, muss in Wort und Tat die Sprache der
kriegerischen Weltverbesserung sprechen, die den Menschen
absolut verlogen erscheint.
Es
mag ja sein, dass die Amerikaner die Demokratisierung
nicht ernsthaft anstreben. Aber warum sollten die Europäer
das nicht tun? Die Alternative könnte lauten: den
militärischen Druck beizubehalten und den Uno-Auftrag
zu erweitern auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen
im Irak. Man müsste Amnesty International in die
Gefängnisse schicken und das Regime auf diese Weise
zusätzlich destabilisieren und eine demokratische
Neuordnung im Nahen Osten in Gang setzen.
Den
Ernstfall wollen
Die
Widersprüche dieses «militärischen Humanismus»
liegen auf der Hand. Die Kant'sche Vernunftidee einer
«friedlichen, wenngleich noch nicht freundschaftlichen,
durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf
Erden, die untereinander in wirksame Verhältnisse
kommen können», (Immanuel Kant) wird durch
die Renaissance der mittelalterlichen Doktrin vom «gerechten
Krieg» unglaubwürdig gemacht. Nur eine Kriegsrhetorik
und Kriegsstrategie, die sich durch nichts, auch nicht
durch ihre Erfolge - Saddam Hussein rüstet Zug um
Zug ab - von ihrer Drohgewalt abbringen lässt, kann
den friedlichen Zusammenbruch des despotischen Regimes
herbeiführen. Jedes Einlenken, jegliche Kompromissbereitschaft,
jedes Wenn und Aber befreit das Regime aus der Einsicht
in die Ausweglosigkeit.
Je
erbarmungsloser die Militärmacht auftrumpft, desto
aussichtsloser ist jeder Versuch eines Diktators, eines
Tyrannen oder Despoten, sich mit militärischen Mitteln
gegen seine Entwaffnung zur Wehr zu setzen, desto wahrscheinlicher
also ist, dass dies allein mit der Androhung militärischer
Gewalt, also mit friedlichen Mitteln, gelingt. Allerdings
fallen diese sogenannten «friedlichen Mittel»
von Anfang an zusammen mit der unaufhaltsamen Vorbereitung
des Krieges. Ja, ihre mögliche «Friedlichkeit»
beruht auf der Überzeugungskraft des drohenden Krieges.
Erst im Nachhinein, wenn es also schon zu spät ist,
könnten sie sich als «friedliche Mittel»
erweisen. Denn es gilt die Paradoxie: Die militärische
Eroberung des Iraks kann in dem Masse verhindert werden,
in dem die militärische Eroberung so sicher wie das
Amen in der Kirche ist. Die Hoffnung, dass der Moment,
in dem der Krieg beginnt, der Moment ist, in dem der Krieg
endet, kann sich allerdings als gefährliche Illusion
erweisen. Dieser natürlich höchst fragwürdige
«militärische Humanismus» setzt, wie
gesagt, auf die absolute Übermacht, die absolute
Politik der Bedrohung und die Einsicht der Despoten in
die absolute Aussichtslosigkeit jeglicher Gegenwehr; wobei
es nützlich sein mag, den Übelhaupttätern
und den Übelmittätern den Schlupfweg des Exils
oder der Amnestie zu eröffnen, wie es die arabischen
Nachbarn jetzt vorgeschlagen haben.
Kriegsdrohung
und Diplomatie
Der
Erfolg dieser Strategie hängt erstens davon ab, dass
die jeweiligen Diktatoren, gegen die sie sich richtet,
schwache Diktatoren sind. Sie verbietet sich gegen Nordkorea,
das über Atomwaffen verfügt, ebenso wie gegen
China oder Indien und Pakistan. Zweitens steht und fällt
diese Strategie mit der weltpolitischen Isolation des
jeweiligen Despoten. Es gilt, diesen von jeglicher Koalitionsmöglichkeit
zur Gegenwehr abzuschneiden. Drittens ist die Wirkung
der Daumenschrauben der Kriegsdrohung umso erfolgversprechender,
je mehr das despotische Regime bereits in sich morsch
ist, sich also in einer - mindestens latenten - revolutionären
Situation befindet. Dann, wenn die Macht der Despotie
nur noch am seidenen Faden der verzweifelten Gleichgültigkeit
der mehr und mehr leidenden Bevölkerung hängt,
können die Waffen in der Entscheidungssituation leicht
die Hände und die Fronten wechseln. Im Falle des
Iraks ist dafür das Votum der arabischen Staaten
sicher wichtig. Wenn sich Ägypten, der grösste
arabische Staat, gegen Saddam Hussein ausspricht (und
von seinen westlichen Freunden dazu wirkungsvoll gedrängt
wird), würde das in Bagdad vielleicht manchen ermutigen,
sich im entscheidenden Moment offen gegen den Herrscher
zu stellen. Anders gesagt: Neben der Kriegsdrohung bedarf
es einer ausgeklügelten Diplomatie, um dem Ziel des
Regimewechsels friedlich zum Erfolg zu verhelfen.
Die
Gegenposition der nur friedfertigen Europäer hat
einen doppelten Pferdefuss: Sie schützt die Tyrannen
und torpediert die friedliche Demokratisierung der Welt
mit der Politik militärischer Drohung. Der europäische
Protektionismus, der die nationalstaatliche Souveränität
heiligt, ist moralisch und politisch problematisch. Man
wäscht fast obsessiv seine Hände öffentlich
in Unschuld - und übersieht dabei beflissentlich
die Schuld, die man dadurch auf sich lädt.
Dies
ist das Dilemma: Die Entscheidung ist nicht länger
die zwischen Krieg und Frieden, sondern die zwischen gar
nichts tun und etwas tun. Auch gar nichts tun erzeugt
eine moralische Schuld: Denn indem man das wählt,
bestätigt man den Status quo, in dem Menschen gemordet,
gefoltert werden, sterben und verhungern.
Absolute
Ansprüche
Das Problem dabei ist nicht nur der missionarische Eifer,
mit dem die USA vorgehen; es steckt mehr dahinter. Die
Bush-Regierung ist religiös übercodiert. Sie
verfolgt ihre Ziele mit einer «absoluten Politik»,
die zugleich auf einen Abschied von der Politik hinausläuft:
«Politik» wird im Namen eines Absoluten betrieben,
das keine Verhandlung, keinen Kompromiss mehr zulässt.
Die Logik des Vertrages wird auf den Müllhaufen des
Kalten Krieges geworfen, und die Kunst der Diplomatie
verkümmert. An ihre Stelle tritt: entweder für
uns oder gegen uns. Das Ringen um Einsicht, die Kritik
voraussetzt, wird hinweggefegt mit dem Pauschalverdacht
eines gleichsam genetisch bedingten Antiamerikanismus.
Oder wie eine türkische Zeitung nach dem Nein des
türkischen Parlaments zur Stationierung von US-Truppen
in der Türkei schrieb: Bush will die Demokratie in
die muslimische Welt einführen: Hier hat er sie.
Das
ist es, was die Menschen in Europa zutiefst beunruhigt
und zu den grossen Demonstrationen seit Mitte Februar
2003 auf die Strassen trieb: Das Nein zum Irak-Krieg war
wohl vor allem ein Nein zu einer zugleich absolutistischen
und revolutionären Nicht-Politik Amerikas, die die
Welt von ihren selbstverschuldeten Fesseln der Tyrannei
befreien will.
Zwei
Lehren, die der noch nicht begonnene Irak-Krieg erteilt,
stehen heute freilich schon fest. Erstens: Wir erleben
die Paradoxien der Politik einer militärischen Drohung
zur Entwicklung und Befriedung der Welt. Unabhängig
vom Ausgang im konkreten Fall wird das eine verhängnisvolle
Militarisierung der internationalen Beziehungen in Gang
setzen. Zweitens: Die Arbeitsteilung der Weltpolitik,
wonach in diesem Kriegspoker die Amerikaner den kriegslüsternen
Sheriff spielen, die Europäer dagegen den friedensverliebten
Richter, funktioniert nicht. Wenn dagegen das kriegerische
Amerika einsähe, dass auch die überlegenste
Militärmacht nichts nützt, wenn sie sich gegen
das Weltrecht stellt, und umgekehrt das unkriegerische
Europa auch zur Militärmacht wird, könnte das
die atlantische Allianz neu begründen.
Ulrich
Beck wurde international bekannt durch sein Buch über
die «Risikogesellschaft» (1986). Vor kurzem
erschien zum Thema «Macht und Gegenmacht im globalen
Zeitalter».